Die Geschichte der Wiener Gemeindebauten hat ihren Anfang im frühen 20. Jahrhundert. Unter der Bezeichnung “Rotes Wien” startete man ein gesellschaftspolitisches Experiment, welches zu einer enormen Entwicklung im Lebens- und Wohnstandart der damaligen Arbeitergesellschaft führte. Die Idee hinter dem Gemeindebau war es, leistbare Wohnungen mit hoher Qualität zu schaffen.
Die Ära der kommunalen Wohnanlagen in Wien beginnt
Am 4. Mai 1919 gewann die Sozialdemokratische Arbeiterpartei die Wiener Gemeinderatswahlen, dies war der Beginn des Roten Wien. In den folgenden Jahren gab es einige bedeutende Veränderungen. 1922 kam es zur Trennung von Wien und Niederösterreich, des Weiteren wurde in diesem Jahr auch der Mieterschutz gesetzlich festgelegt. Im Jahr 1923 führte Hugo Breitner, der sozialdemokratische Finanzstadtrat, eine zweckgebundene Wohnbausteuer ein, mit dessen Ertrag war die Errichtung neuer Wohnhäuser möglich.1 Um die, Anfang des 20. Jahrhunderts, vorherrschende Wohnungsnot zu bremsen, errichtete die Stadt Wien in nur 10 Jahren an die 65.000 neue Wohnungen.2
1923 wurde ein umfangreiches Bauprogramm gestartet, um für die Bevölkerung menschenwürdige Wohnungen zu schaffen - hell, trocken, mit Wasserleitung und WC ausgestattet, waren sie ein krasser Gegensatz zu den Bassena-Wohnungen in den Mietskasernen.3
Eine Revolution der Wohnqualität:
Die kommunalen Wohnbauten basieren auf einem “Stadt in der Stadt” Prinzip. Die Bauplätze wurden meist nur zur Hälfte verbaut, um den Bewohnern auch eine begrünte Umgebung bieten zu können. In den Erdgeschosszonen der Wohnhäuser wurden vor allem Allgemeinflächen wie Geschäftslokale, Arztpraxen, Bildungseinrichtungen, Badehäuser und vieles mehr eingeplant.4
Neue Wohnungstypen und entsprechende Grundrisse zur steigerung der Wohnqualität wurden entwickelt. Ausstattungen die wir heute meist als selbstverständlich empfinden.
Bis 1927 wurden fast ausschließlich folgende zwei Wohnungstypen errichtet: 38m² bestehend aus einer Wohnküche und einem Zimmer oder 48m² bestehend aus einer Wohnküche, einem Zimmer und einem Kabinett. Zimmer, Küche, Vorraum, WC und ein eigener Wasseranschluss gilt heute als Standard in jeder Wohnung. All dies fand jedoch erst mit dem Konzept der Gemeindewohnungen Einzug in den Wohnbau.
„Die Gemeindebauten sind nicht nur die sichtbaren Denkmäler der Sozialdemokratie und des größten Reformprogramms in der Geschichte der Stadt, sie repräsentieren auch die unwahrscheinliche Bandbreite architektonischer Möglichkeiten im Wien der Zwischenkriegszeit."5
In der Zwischenkriegszeit wurden sämtliche Baulücken, verteilt über die gesamte Stadt, für die Errichtung kommunaler Wohnbauten herangezogen. Viele der Gemeindewohnbauten befinden sich vor allem auch im 5. und im 12. Bezirk, da die Stadt Wien in diesem Bereich in den 1920er Jahren sämtliche Grundstücke erworben hatte.6 Schon im Jahr 1924 besaß die Stadt selbst etwa 2,6 Millionen Quadratmeter Bauland, dies machte sie zum größten Grundbesitzer in ganz Österreich. Heute verzeichnet die Stadt Wien insgesamt 220.000 Gemeindewohnungen und ist somit die größte Hausverwaltung in ganz Europa.7
Wenn wir einst nicht mehr sind, werden diese Steine für uns sprechen. - Karl Seitz8
Vermächtnisse, Probleme und Pilotprojekte
Von den 1.800 Gemeindebauten und ihren vergleichsweise niedrigen Mieten profitieren die etwa 500.000 Bewohner:innen9 nach wie vor. Etwa jede:r vierte Wiener:in wohnt demnach in einer städtischen Wohnung. Kaum eine andere Stadt kann auf einen derartigen sozial-technischen Schatz zurückblicken und aufbauen. Der Verzicht auf eine Privatisierung der Wohnanlagen fungiert als eine Schutzfunktion für das gesellschaftliche Gefüge und die lokale Mietpreisentwicklung.
Einen entscheidenenden Beitrag zur sozialen Durchmischung leisten die Bauten zusätzlich, durch ihre weitläufige Verteiliung in der Stadt. Als Representationsbauten und Symbole einer stolzen Arbeiterschaft wurden sie errichtet und mit Denkmälern und Kunstwerken geschmückt, sodass die Bewohner:innen neues Selbstbewusstsein erlangen können. Ob der aktuelle Zustand der Bauwerke solche Gedanken und Reaktionen noch vermitteln kann ist in vielen Fällen jedoch fraglich. Die Sorge um die Bausubstanz nimmt oftmals überhand.
Derzeit rückt die Zukunft der Gemeindebauten medial vermehrt in den Fokus der Debatte. Seit 2016 wird von Wiener Wohnen der Zustand der Wohnanlagen systematisch erhoben. Laut einem Bericht des Rechnungshofs aus dem Jahr 2019 befindet sich ein Großteil der Gemeindebauten in keinem guten Zustand und 9% davon in einem tendenziell schlechten bis schlechten. Ein Sanierungszyklus von 30 Jahren wird von der Stadtverwaltung angestrebt. Dies würde etwa 7300 Wohnungssanierungen jährlich bedeuten. Dieses Ziel kann aber bislang nicht umgesetzt werden.10 Umfassende Sanierungen der Bausubstanz in der Form von Sockelsanierungen könnten die Gebäude allerdings aus energietechnischer Sicht tatsächlich zukunftsfit machen. Solche Eingriffe sind kurzfristig aufwändig, ermöglichen jedoch eine nachhaltige und ökonomisch sinnvolle Weiterführung der schützenswerten Wohnbauten auf Dauer.
Pilotprojekte wie der Gemeindebau in der Hütteldorfer Straße 252 im 14. Wiener Gemeindebezirk, welcher auf Passivhausstandard saniert wurde, zeigen dass eine solche Herangehensweise möglich ist. Entscheidende Faktoren waren dabei die Aufrüstung von Gebäudedämmung sowie der Einsatz alternativer Energiequellen in Form von Photovoltaikpaneelen.11 Einerseits können solche baulichen Maßnahmen eine erhöhte Wohnqualität für die Mieter schaffen und andererseits wird der ökologische Abdruck entscheidend gemindert. Erst über eine flächendeckende Umsetzung solcher bautechnischen Innovationen, kann ein entscheidender Impuls im Kampf gegen den Klimawandel gesetzt werden.
Ein weiteres Zeichen im Streben nach Innovation zeigt sich in der Begrünung von Bestandsgebäuden. Auch hier gibt es zwei Projekte zur Fassadenbegrünung von Wiener Wohnen in der Raxstraße 21-27 und in der Mollardgasse 89. Etwa 145 m² werden dabei on Rank- und Kletterpflanzen vom Erdgeschoß aus bewachsen.12 Das Stadtbild profitiert in vielen Fällen von dauerhaften Maßnahmen zur Begrünung. Insbesondere aber in innerstädtischen, versiegelten Bereichen, wo Hitzeinseln den Aufenthalt in den Sommermonaten erschweren, wären solche Projekte effektiv.
Potenziale entfalten
Dass sich innovative Maßnahmen an bestehenden Gmeindebauten als isolierte Stecknadeln im Wiener Stadtgefüge zeigen und der Sanierungszyklus weit hinter den gesetzten Zielen hinkt, gibt den aktuell tausenden, unter dem Titel “Gemeindewohnungen NEU”13 geschaffenen Wohneinheiten einen bitteren Beigeschmack.
Eine klimafitte Stadt muss sich auch intensiv mit der bestehenden Bausubstanz auseinandersetzen und sinnvolle Maßnahmen nicht nur einzeln vorzeigen, sondern konsequent weitläufig umsetzen. Großes Potenzial steckt nach wie vor im Vermächtnis der Wohnhausanlagen, aus technischer wie aus sozialer Sicht. Dachflächen können solar genutzt, Fassaden begrünt, Bauteile gedämmt, Grundrisse neugestaltet und Balkone ergänzt werden – das Wissen darum steht bereit.
Sebastian Lengauer, Studiert im Masterlehrgang Architektur an der TU Wien. Neben dem Studium hat er sich an verschiedenen Kunst- und Sozialprojekten beteiligt. Er war beruflich als Hochbautechniker im regionalen Angebotsmanagement in Wien tätig und will sich nun insbesondere mit umweltfreundlichen Sanierungsmöglichkeiten für schützenswerte Bausubstanz beschäftigen.
Christina Toniolli, Architektin mit Erfahrung und Interesse an bauhistorischen Untersuchungen. Vorliebe für historische Gebäude, sowie Bauen im Bestand.
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Bereits um 1500 lassen sich erste Bautätigkeiten im Bereich des häutigen Palais feststellen, stetig folgten Umbauarbeiten und Adaptionen durch die wechselnden Besitzer:innen. Welche Geheimnisse und Geschichten erzählt uns das Palais, wenn wir das historische Anwesen mithilfe einer bauhistorischen Untersuchung genauer analysieren?
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